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Angesichts der drängenden Herausforderungen unserer Zeit erwarten große Teile der Öffentlichkeit und Politik eine engagierte Wissenschaft, die sich aktiv an der Lösung ökologischer, ökonomischer und sozialer Probleme beteiligt. Diese Erwartungshaltung hat dazu beigetragen, Diskussionen über eine "third mission" der Wissenschaft aufzuwerfen. Damit verbunden sind Fragen zu gesellschaftlichem Engagement und Distanz zur Politik in Forschung und Lehre, mit denen sich bereits der amerikanische Wissenschaftssoziologe Robert K. Merton in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschäftigte und die ihn dazu bewogen, ein Ethos der Wissenschaft zu postulieren. (...)
Vor dem Hintergrund der Traumatisierung der Wissenschaft durch den Nationalsozialismus und seine dramatischen Folgen stellt sich heute nach wie vor die Frage, ob - und wenn ja wie - Forschung und Lehre gegen politische Intervention und Pervertierung immunisiert werden können. Gibt es überhaupt so etwas wie "reine Wissenschaft" und wie lässt sich diese abgrenzen? Brauchen wir ein Wissenschaftsethos oder gibt es dazu Alternativen?
Im Folgenden versuchen wir uns diesen Fragen zu nähern. Wir sind weder Wissenschaftssoziologen noch Wissenschaftshistoriker und werden deshalb nur sehr kursorisch auf die entsprechenden Forschungen verweisen. Wir nähern uns den Fragen zum einen aus der Perspektive der angewandten Nachhaltigkeitsforschung und zum anderen mit einem wissenschaftsphilosophischen und erkenntnistheoretischen Hintergrund. Unsere Kritik an Mertons Ansatz hat daher sowohl einen explizit praktischen als auch philosophischen Zugang.
Vor zehn Jahren, schon bald nach dem Beginn der Finanzkrise, setzte weltweit die Erkenntnis ein, dass die eingebrochenen privaten Investitionen mit staatlichen Konjunkturprogrammen kompensiert werden müssten. Die Regierungen der Welt wendeten sich überraschend schnell von den bisher dominanten laissez-faire Ansätzen ab. Weltweit schlug die Stunde von Staatsinterventionen. Unter dem Titel "Green New Deal" und später "Green Growth" katapultierte sich die ökologische Modernisierung der Wirtschaft quasi über Nacht aus der umweltpolitischen Nische heraus in den konjunkturpolitischen Mainstream. Zwar gab und gibt es immer noch Regierungen und internationale Institutionen, die diese ökologische Wende der Konjunkturpolitik nicht nachvollziehen, allerdings dürften sich diese spätestens seit dem Jahr 2009 in der Minderheit befinden. Die Forschung kam mit dem Tempo der Entwicklungen kaum hinterher. Dennoch lassen sich aus den vergangenen zehn Jahren seit der Finanzkrise von 2008 wichtige Erkenntnisse und Faustregeln z. B. für den European Green Deal aber auch für die angekündigten nationalstaatlichen Konjunkturprogramme nach der Coronakrise ableiten. Der Text begründet die These von einer ökologischen Wende der Konjunkturpolitik. Im Anschluss leitet er daraus wichtige Lektionen für den sich anbahnenden European Green Deal als eine wirtschaftspolitische Antwort auf die Coronakrise ab.
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine ökologische Wende der EU-Regionalpolitik sind scheinbar ungünstig. Dem Vorsorgeprinzip der Umweltpolitik liegt die Annahme zugrunde, dass man auf bestimmte Tatsachen reagieren muss, weil sonst Schäden entstehen. Nach dem Soziologen Niklas Luhmann entspricht dies jedoch einer allzu einfachen Alltagsvorstellung. Der Ökonom Hans-Jochen Luhmann diagnostiziert hinsichtlich der Wahrnehmung von ökologisch relevanten Informationen eine regelrechte "Blindheit der Gesellschaft". Blockaden bei der Umsetzung von Umweltpolitik scheinen diese Befunde zu bestätigen. Der Planungswissenschaftler Arthur Benz meint in diesem Kontext, dass man bei der Durchsetzung von Planungskontrolle eben nicht mit dem freiwilligen Lernen der Akteure rechnen dürfe. Wie lässt sich unter diesen Bedingungen eine ökologische Wende der Europäischen Regionalpolitik umsetzen? Ist der Planungspessimismus, der sich in Deutschland nach einem Planungsoptimismus der 1970er Jahre durchgesetzt hat, gerechtfertigt? Welchen Wert können zielorientierte Instrumente wie etwa Indikatoren für die Umweltplanung in der Regionalpolitik noch haben? Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Differenzierung beleuchtet der Umweltwissenschaftler Philipp Schepelmann die Probleme, die bei der Anwendung von Umweltindikatoren in der regionalen Wirtschaftsförderung auftauchen. Für seine empirische Untersuchung im Ziel-2 Gebiet der EU-Strukturfonds in Nordrhein-Westfalen entwickelt er in Anlehnung an die soziologische Systemtheorie das Konzept der Resonanz. Resonanz bezeichnet die aktive Reaktion von sozialen Systemen auf Umweltprobleme als Voraussetzung für eine zielorientierte Umweltpolitik. Die Resonanz von Policy-Netzwerken gegenüber Umweltindikatoren kann nachgewiesen und verglichen werden. Am Beispiel der umweltpolitischen Indikatoren des Lissabon-Prozesses der Europäischen Union wird die regionale Resonanz von Indikatoren in verschiedenen Policy-Netzwerken untersucht. Das Ergebnis der Resonanzanalyse ist aus planerischer Sicht überraschend positiv: Es gibt nicht nur Blindheit und Untätigkeit gegenüber ökologischen Herausforderungen; differenzierte Policy-Netzwerke leiten in NRW erfolgreich eine ökologische Wende der EU-Regionalpolitik ein.